Als Referendar und junge Lehrkraft Autorität ausstrahlen
Ein Beitrag von Christine Xuân Müller
Lehrer sollten natürliche Autorität ausstrahlen – eine wichtige Voraussetzung, damit sie von ihren Schülern ernst genommen werden. Gerade für Referendare und Junglehrer ist das nicht ganz einfach, aber es ist erlernbar. Mit unseren Tipps finden verbessern Sie Ihre Präsenz im Klassenzimmer.
© martin-dm in E+ via GettyImages
„Das Referendariat war eine harte Schule“, erinnert sich Marlies Schneider. Die heute 37-Jährige, die ihre Erfahrungen nur unter Pseudonym weitergeben möchte, ist Fachlehrerin für Englisch an einer Berufsschule im Süden Berlins. Sicher, mit etwas Nervosität im Bauch sei sie damals in den Unterricht gegangen. Schließlich war es das erste Mal, dass sie als Lehrerin vor einer Klasse stand. Die vor ihr sitzenden Schüler fand sie sympathisch. In manchen Dingen ähnelten sich die junge Referendarin und die Jugendlichen sogar – etwa im Kleidungsstil, Musikgeschmack oder in modischen Accessoires. Trotz der ersten Aufregung brachte Marlies Schneider auch eine gehörige Portion Enthusiasmus für ihren Lehrerberuf mit. „Ich wollte meinen Schülern irgendwie näher sein, als ich es von meinen früheren Lehrern kannte. Ich stellte mir ein lockeres, freundschaftliches Verhältnis vor“, erklärt sie rückblickend. Doch diese Pläne erwiesen sich in der Praxis rasch als – wie sie heute sagt – „naiv“.
Die Ernüchterung kam für die damalige Referendarin schon nach wenigen Wochen. So hatte Marlies Schneider zwar vor und während ihres Studiums längere Zeit in Großbritannien und Neuseeland verbracht. Sie spricht fließend Englisch. „Doch es gab immer wieder englische Fachbegriffe , die ich einfach nicht kannte“, gibt die Berufsschullehrerin freimütig zu. Für ihre Schüler war das ein gefundenes Fressen. Als diese die Schwäche ihrer Lehrerin erst einmal erkannt hatten, gab es kein Halten mehr. Sie nutzten jede Gelegenheit, ihr die Arbeit zu erschweren. Sie begannen, Faxen zu machen oder trotz Handyverbots im Unterricht mit ihren Telefonen zu spielen. Einige Jugendliche sagten, sie hätten „keinen Bock auf Englischunterricht“ oder erklärten: „Das ist doch alles Schrott, was wir hier lernen“. Auch Aussagen wie „Jetzt kommt die Schneiderin schon wieder“, schnappte die Lehrerin auf, wenn sie eine Klasse betrat. All das setzte der Referendarin persönlich zu. „Mein Selbstbewusstsein hat sehr stark gelitten. Ich habe mich klein machen lassen“, erinnert sich Marlies Schneider.
Autoritätskompetenz wird im Lehramtsstudium viel zu selten vermittelt
Ungewöhnlich ist ihr Fall nicht. Die Frage, wie man sich Autorität verschafft, stellen sich die meisten Referendare und jungen Lehrer. Doch anders als fachliches Know-how spielt die Autoritätskompetenz im Lehramtsstudium kaum eine Rolle. Das rächt sich dann in der Praxis. Referendare haben es dabei besonders schwer, denn sie befinden sich quasi in einer Sandwich-Position: Einerseits sind sie den Schülern oft schon rein altersmäßig viel näher als andere Pädagogen. Das kann mitunter positiv sein. Es kann aber auch dazu führen, dass Schüler dem Lehramtsneuling nicht von vornherein denselben Respekt zugestehen wie älteren Kollegen. Andererseits werden Referendare ihrerseits ebenfalls beurteilt. „Sie sind in einer vom Seminar- oder Ausbildungsleiter abhängigen Position“, sagt Mechthild Mertens, Trainerin für Personalkompetenzen bei Lehrern. Dadurch sind sie in ihrer Lehrerrolle oft noch nicht wirklich sicher. Kurz gesagt: Referendare oder junge Lehrer sitzen zwischen den Stühlen, was die Situation erschwert.
Ein Kernthema, dem sich auch alte Hasen immer wieder stellen müssen
Doch die Autoritätsfrage stellt sich nicht nur in den ersten Jahren, sie bleibt ein Kernthema während der gesamten Lehrerkarriere. Was Autorität im Schulalltag bedeutet, hat sich im Laufe der Geschichte allerdings radikal verändert. Herrschte vor 50 Jahren noch die Meinung, dass Kinder und Jugendliche sich widerspruchslos den Anweisungen der Erwachsenen fügen sollen, so schlug diese Vorstellung spätestens 1968 ins komplette Gegenteil um, als es galt, sich jeglicher Autorität entgegenzustellen. Mittlerweile wird in der Wissenschaft und in der gesellschaftlichen Diskussion differenzierter über Autorität debattiert. Als tragbarer Ansatz für Lehrerautorität wird heute von vielen Fachleuten das Konzept der „natürlichen Autorität“ angesehen. Mechthild Mertens versteht darunter „die Art und Weise, wie Lehrer mit den Schülern in einen interaktiven Kontakt treten. Voraussetzung dafür ist eine von Empathie und Motivation getragene Haltung.“ Bei der Steuerung des Schülerverhaltens bleibe der Lehrer in Kontakt mit seinen Zöglingen, sagt die Autorin der Broschüre „Starke Lehrer – Starke Schulen. In der Klasse Autorität haben. Klassen organisieren aus eigener Kraft“.
Die gute Nachricht dabei ist: Natürliche Autorität kann erlernt werden. „Sie ist keine Fähigkeit, die man besitzt. Autorität wird immer wieder in Situationen erworben. Das geschieht aus dem Moment heraus und ist nicht direkt vorwegnehmbar“, betont Mechthild Mertens. Anders gesagt: Bei Problemsituationen gibt es oft unterschiedliche Steuerungsmöglichkeiten. Formale Lösungen nach dem Motto „Wenn A passiert, muss B getan werden“ greifen zu kurz.
Fehlende Autorität verunsichert die Schüler
Für Autorität aber „braucht ein Lehrer ein klares Ziel, wohin er die Schüler lenken will. Und er braucht ein Verständnis dafür, dass sich Schüler in einer Entwicklungs- oder Gruppendynamik befinden, die provozieren kann“, betont Mertens. Ohne sichere Handlungsmuster und Zielorientierung kommt es zu Stress. Fehlende Autorität frustriert zudem nicht nur den Lehrer. Sie verunsichert auch die Schüler. Denn tatsächlich „ist es ein natürliches Entwicklungsbedürfnis von jungen Menschen, dass sie wachsen und reifen möchten und in diesem Prozess begleitet werden wollen.“
Lehrer, die Autoritätsprobleme ignorieren, schaden sich damit auch selbst. Motivationsverlust im Lehrfach, Kontaktverlust mit den Schülern, Krankheit, kollegialer Stress, das Gefühl der Inkompetenz und Rückzugstendenzen können die Folge sein. „Im Extremfall kommt es zum Burn-out “, weiß Trainerin Mertens. Um dem vorzubeugen, sei es besser, sich mit Autoritätsproblemen ehrlich auseinanderzusetzen. Oft bekäme man schon in einem aufgeschlossenen Kollegium Unterstützung (siehe auch Beitrag „Start mit klaren Regeln“).
Nach einigen Jahren Berufserfahrung ist auch Marlies Schneider gelassener. Wenn mal was nicht perfekt läuft, sei das nicht so schlimm, selbst wenn sie bei einer Schülerfrage passen muss. „Dann sage ich den Schülern das und verspreche ihnen, die Antwort in der nächsten Unterrichtsstunde nachzuliefern.“
Für die Leipziger Autoritätsforscherin Dr. Brigitte Latzko ist dies eine kluge Vorgehensweise, die sie unbedingt jedem Lehrer – ganz unabhängig von seinem Status – empfehlen würde. Die von ihr durchgeführten Befragungen von Schülern (siehe auch Beitrag „Lehrerautorität aus Schülersicht“) zeigen ganz deutlich: „Die fachliche Kompetenz von Lehrkräften und ihr Umgang mit Schülerfragen spielt für die Anerkennung ihrer Autorität eine bedeutende Rolle.“ Eine der Schlussfolgerungen, welche die Psychologin Latzko daraus zieht: „Die Referendare sollten mit Hilfe ihrer Mentoren frühzeitig einüben, wie sie mit Fragen von Schülern umgehen, die sie auf Anhieb nicht beantworten können.“
Dass stete Übung und der tägliche „Nahkampf“ im Klassenzimmer die besten Lehrmeister sind, um die eigene Autorität gegenüber den Schülern zu stärken, kann Marlies Schneider nur bestätigen. Längst hat sie sich mit den Strapazen ihrer Referendariatszeit ausgesöhnt und sagt: „Wenn es keine Autoritätsprobleme gäbe, wäre der Lehrerberuf ein Traumjob, den jeder gerne hätte.“
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