Burnout ist ein schleichender Prozess
Ein Beitrag von Reginald Müller
Über Burnout wird viel geredet. Etwa ein Drittel der Lehrer:innen - und zunehmend bereits Referendar:innen - befinden sich im Burnout-Prozess. Vielleicht fragen Sie sich manchmal selbst: Was ist mit mir los? Ist das schon Burnout oder bin ich nur ein bisschen überarbeitet? Wir erklären Ihnen, auf welche Warnzeichen Sie achten müssen.
© Foto Jay Yuno via GettyImages
Burnout ist ein schleichender Prozess, der Körper und Geist, in Mitleidenschaft zieht. Er kann zu völliger Arbeitsunfähigkeit, bis hin zum Suizid führen. Schauen wir uns in einer Fallgeschichte den krisenhaften Prozess näher an und nennen wir unseren Lehrer einmal Sebastian Döring.
Stufe 1: Der Zwang, sich zu beweisen
Sebastian Döring zeigt ein hohes Engagement. Er hat sich für den Beruf des Lehrers entschieden, weil ihm die Arbeit mit Menschen wichtig ist. Er will die Fähigkeiten und Stärken der Schüler:innen entwickeln und als Lehrer etwas in seinem Leben erreichen. Als Berufsanfänger hat Döring hohe Ziele und Erwartungen, die noch nicht durch Ernüchterung gedämpft wurden. Wenn das Gefühl leichter Erschöpfung aufkommt, ignoriert er es einfach. Denn schließlich, so meint er, sind ihm Menschen anvertraut worden, die unterrichtet und betreut werden wollen.
Stufe 2: Verstärkter Einsatz
Um den eigenen hohen Ansprüchen zu genügen, steckt Döring noch mehr Energie in die Arbeit. Mit der Zeit hat er das Gefühl unentbehrlich zu sein. Für ihn ist „Soziale Unterstützung“ ein „Fremdwort“. Er vertritt die Meinung, entweder man schafft alles alleine, oder man hat den falschen Beruf gewählt.
Stufe 3: Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
Sebastian Döring steckt immer mehr Energie in sein großes Ziel und hat nur das Verlangen dieses zu erreichen. Er will ein guter, ein anerkannter Lehrer und Freund der Schüler:innen sein. Das Verlangen nach Ruhe, Schlaf und Regeneration tritt immer weiter zurück. Stattdessen trinkt er immer mehr Alkohol und entwickelt sich zum starken Raucher. Um für den Unterricht fit zu sein putscht er sich vermehrt mit Kaffee auf.
Stufe 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen
Die Ansprüche seines Körpers nach Ruhe und Entspannung blendet Döring immer weiter aus. Zum Unterricht oder zu Konferenzen erscheint er häufig unpünktlich. Er vergisst Unterrichtsmaterialien oder auch Namen von Schüler:innen.
Stufe 5: Umdeutung von Werten
Sebastian Döring will unbedingt sein Ziel erreichen und kann sich nicht eingestehen, dass es zu groß ist. Freundschaften und berufliche Beziehungen, die ihn auf sein Problem hinweisen, werden ihm zur Belastung. Er reagiert immer öfter gereizt und aggressiv. Konflikte mit Schüler:innen, Kolleginnen und Kollegen oder seinem Lebenspartner gehören fast zur Tagesordnung.
Stufe 6: Verstärkte Verleugnung von Problemen
Sebastian Döring fühlt sich nicht anerkannt. Sein „großes“ Ziel scheint er nicht zu erreichen. Mit viel Idealismus und Euphorie ist er immer zur Schule gegangen, nun geht er nur noch ungern dorthin. Er leidet erstmals unter deutlichen Leistungsschwächen und körperlichen Beschwerden, wie zum Beispiel Muskelverspannungen, häufige Erkältungen oder Magen-Darm-Beschwerden. Seine körperlichen und mentalen Probleme verdrängt aber völlig.
Stufe 7: Rückzug
Ein Gefühl der Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit macht sich bei dem Lehrer breit. Alkohol und Medikamente, aber auch Essen dient ihm als Ersatzbefriedigung. Sein soziales Umfeld empfindet Sebastian Döring als bedrohlich und überfordernd. Er hat Angst als Versager angesehen zu werden. Zu seinem Sportverein geht er nicht mehr. Er zieht sich zurück und bricht soziale Kontakte ab.
Stufe 8: Innere Leere
Mutlos und ausgezehrt bewältigt Döring seinen Alltag. Seine Motivation ist auf dem Nullpunkt angekommen, er macht nur noch das, was nötig ist („Dienst nach Vorschrift“). Oft leidet er unter Angst und Panikattacken. Er wird zum Eigenbrötler und versucht seine Probleme mit Kauftouren, Fressorgien und exzessivem Sex zu bewältigen.
Stufe 9: Depression
Inzwischen ist Sebastian Döring in einer Depression angekommen. Hoffnungslosigkeit und Erschöpfung machen sich breit. Er sieht keinen Sinn mehr in seiner Existenz und will nur noch schlafen. Seine Verzweiflung ist sehr groß und er denkt manchmal über Suizid nach.
Stufe 10: Völlige Burnout-Erschöpfung
Aus der Depression kommt er nicht heraus. Sebastian Döring droht die völlige Erschöpfung. Die geistige, körperliche und emotionale Müdigkeit lähmt ihn. Das Immunsystem ist angegriffen, die Gefahr Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Magen-Darm-Leiden zu bekommen steigen an.
„Normale“ Erschöpfung oder Burnout?
Die Anfangsstadien von Sebastian Döring haben vermutlich schon viele Menschen mindestens einmal erlebt. Im Prinzip kann der Prozess auch jederzeit beendet werden. In fortgeschritten Stadien gelingt das meistens nur mit Hilfe von außen. Nicht jede Erschöpfung ist gleich ein Burnout. Wir alle kennen Nächte, in denen wir schlecht geschlafen haben, oder Tage, an denen uns der Alltag zuwider ist. Hin und wieder Konflikte mit Kolleginnen oder Kollegen, Schüler:innen, oder deren Eltern sind normal. Es darf nur kein Dauerzustand sein, sodass sich ein chronischer Stresszustand entwickelt. Wer länger als 12 Wochen beispielsweise schlecht schläft und vielleicht seine Hobbys oder Freund:innen vernachlässigt, der befindet sich auf einen Weg, der ins Burnout-Syndrom führen kann.
Das viele Lehrer:innen psychisch und psychosomatisch erkranken, hat mit dem spezifischen schulischen Belastungen zu tun. Dazu zählen unmotivierte und aggressive Schüler:innen, Konflikte mit Eltern und Probleme im Kollegium oder mit der Schulleitung. Auch ständig neue und meist wenig ausgereifte Vorgaben der Ministerien, sowie eine schlechte Ausstattungen der Schulen tragen auf Dauer zur Erkrankung bei. Fortbildungen in Gesundheitsfördernde Maßnahmen werden für Lehrer immer wichtiger, damit sie bis zu ihrer regulären Pensionierung den Beruf ausüben können.
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