Hinsehen, ansprechen, weitervermitteln – in diesem Blogbeitrag finden Sie Hintergrundinformationen zum Thema psychische Belastung von Heranwachsenden, lernen den neuen RAABE-Kooperationspartner tomoni mental health kennen und erfahren, wie Sie betroffene Schüler:innen unterstützen können.
Psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen im Schulalter nimmt zu
Nachwirkungen der Corona-Pandemie, Kriege weltweit, Klimawandel, Druck durch soziale Medien, gesellschaftliche Umwälzungen – die vielfältigen Krisen der Gegenwart gehen an Kindern und Jugendlichen im Schulalter nicht spurlos vorbei. Die sogenannte COPSY-Studie, für die das Hamburger Uni-Klinikum (UKE) seit der Corona-Pandemie einmal im Jahr 1.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren befragt, zeigt: Wo sich vor Corona jedes fünfte Kind psychisch belastet fühlte, ist es heute jedes dritte.
Meistens zeigen sich erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung zu einer Zeit, in der viele Betroffene noch zur Schule gehen: 50 Prozent der Krankheiten treten vor dem 15. Lebensjahr auf, 75 Prozent zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. In einigen Fällen kommt es tragischerweise sogar zum Suizid der erkrankten Schüler:innen. Das Statistische Bundesamt kennt dazu bittere Zahlen: Im Jahr 2023 begingen 173 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 19 Jahren Suizid. Weitere 22 Kinder und Jugendliche im Alter von unter 15 Jahren verloren so ihr Leben. (Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/sterbefaelle-suizid-erwachsene-kinder.html)
Umso wichtiger ist es, dass nicht nur Eltern und Familienmitglieder, sondern auch Lehrkräfte und Schul-personal sich darin üben, Warnzeichen für seelische Belastungen frühzeitig zu erkennen und drauf zu reagieren.
Schulisches Umfeld als Frühwarnsystem für Lernende mit psychischen Problemen
Seelisches Leid und psychische Erkrankungen äußern sich nicht bei allen Betroffenen auf dieselbe Weise. Manche Schüler:innen entwickeln körperliche Symptome oder lassen stark in ihren schulischen Leistungen nach, sind nicht mehr in der Lage die Körperhygiene aufrecht zu erhalten, verändern ihr Verhalten oder sind emotional instabiler. Nicht nur Lehrkräfte sollten auf solche Wesensveränderungen achten. Auch Mitarbeitende im Schulsekretariat, pädagogische Fachkräfte, Mensapersonal und Angestellte mit Hausmeister- und Servicetätigkeiten können wertvolle Unterstützer:innen sein, wenn sie in eine Kultur des Hinsehens und Ansprechens eingebunden werden.
Das lohnt sich, denn anders als Eltern und Familie verfügen Lehrkräfte und Schulpersonal zum einen durch die vielen Heranwachsenden in ihrem Umfeld über eine zuverlässige Vergleichsgruppe. Zum anderen blicken sie von außen auf die ihnen anvertrauten Jugendlichen, während Erziehungsberechtigten vor allem älterer Schüler:innen Veränderungen teilweise länger verborgen bleiben.
tomoni mental health – kostenfreie Fortbildungen zur Förderung der psychischen Gesundheit der Schüler:innen
Dass geschulte Laien Anzeichen psychischer Erkrankungen erkennen können, bejahen auch psychologische Fachleute. Es gilt aber auch: Je sicherer sich Lehrkräfte und Schulpersonal darin sind, Auffälligkeiten bei Jugendlichen einzuordnen, desto selbstbewusster können sie aktiv werden, statt aus Sorge vielleicht etwas falsch zu machen, untätig zu bleiben. Das nötige Wissen steuert in einer aktuellen Kooperation mit RAABE die gemeinnützige tomoni mental health gGmbH aus Frankfurt am Main bei. Alix und Oliver Puhl gründeten das Sozialunternehmen aus persönlicher Betroffenheit.
Gemeinsam mit Mitarbeitenden aus Wissenschaft und Pädagogik sowie betroffenen Jugendlichen hat tomoni mental health zwei interaktive Fortbildungsangebote für Schulangehörige an Grundschulen (tomoni.starts) und weiterführenden Schulen (tomoni.schools) entwickelt. Beide Angebote sind online, live, und kostenfrei. Sie bestehen aus je acht Modulen zu je 90 Minuten, die Theorie und Praxis verbinden. Im Rahmen der Kooperation werden künftig weitere Informations-, Handlungs- und Lösungsangebote für den Alltag in der Schule entstehen.
Als erstes gemeinsames Projekt veröffentlichen RAABE und tomoni mental health gGmbH mit “WISSEN.ERKENNEN.HANDELN. einen kleinen Begleiter als Ratgeber zum Umgang mit psychischen Erkrankungen bei Schüler:innen, mit Leitfäden, Tipps und praktischer Unterstützung für das Schulumfeld. Der kleine Begleiter steht Lehrkräften und Schulpersonal kostenfrei zum Download zur Verfügung.
Das können wir tun: hinsehen, ansprechen, weitervermitteln
Einige Hinweise, die eine Kultur des Hinsehens und Ansprechens ermöglichen, möchten wir Lehrkräften und Schulpersonal an dieser Stelle bereits mitgeben.
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Rollenklarheit – Lotsen, nicht lösen
Als Lehrkraft, pädagogische Fachkraft oder sonstig in der Schule Beschäftigte fungieren Sie vor allem als Lotse oder Lotsin, falls Schüler:innen Sie ansprechen, Sie auf Kinder und Jugendliche zugehen oder Sie Ihrerseits Kolleginnen und Kollegen einbinden möchten. Ihre Aufgabe besteht im Hinsehen und Ansprechen. Die weiterführende Arbeit mit den Jugendlichen vertrauen Sie den Erziehungsberechtigten und gegebenenfalls Expertinnen und Experten aus dem psychologischen bzw. psychiatrischen Bereich an.
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Hinsehen - Frühwarnsignale kennen und erkennen
Was ist denn plötzlich nur los mit …? Lehrkräfte und Schulpersonal sind ohnehin geübt darin, Veränderungen bei den ihnen anvertrauten Schüler:innen wahrzunehmen. Folgende Wesensveränderungen können frühe Hinweise auf seelische Belastungen und psychische Erkrankungen sein:
- körperliche Symptome
- äußere Veränderungen
- verändertes Verhalten
- emotionale Instabilität
- schulische Auffälligkeiten in Noten und Interessen
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Ansprechen – nur Mut!
Ein Gespräch mit dem Kind oder Jugendlichen ist immer der richtige Weg. Haben Sie keine Angst vor dramatischen Konsequenzen – niemand tut sich etwas an, nur weil er auf eine Auffälligkeit angesprochen wird. Im Gegenteil: Es laut auszusprechen und sich jemandem anzuvertrauen, kann Heranwachsende entlasten. Falls Sie sich das Gespräch alleine nicht zutrauen: Das ist völlig in Ordnung! Ziehen Sie dann eine Kollegin oder einen Kollegen hinzu. Für Gespräche zur mentalen Gesundheit gelten dieselben Regeln wie für viele andere Gespräche mit Schüler:innen:
- beschreiben Sie Ihre Wahrnehmung ohne Bewertung
- benennen Sie klar Ihr Anliegen
- nutzen Sie offene Fragen
- bieten Sie an, im Gespräch zu bleiben